Die Führung von Staatsunternehmen hat gute Gründe. Man möchte damit den
zuverlässigen, souveränen Zugriff auf wenigstens einige der wichtigsten
Ressourcen gewährleisten: Kommunikation, Verkehr, Energie, Sicherheit
und zum Großteil auch Bildung und Krankenversorgung. Ein Staatsbetrieb
muss keinen Gewinn erwirtschaften und kann sogar im Dienst wichtiger Ziele
bewusst mit Verlust geführt werden, um beispielsweise eine billige
Grundversorgung zu sichern.
An diesen Stellen im Rahmen eines staatlichen Räumungsverkaufes die
Kontrolle zu verschachern, bedeutet, substanzielle nationale Interessen
einfach marktwirtschaftlichen Prinzipien unterzuordnen. Essenzielle
Grundgüter eines ganzen Volkes also den zweifelhaften Interessen einer
kleinen (daran verdienenden) Minderheit anheim zu stellen - mit all ihrem
hässlichen aber naturgemäßen Egoismus. Und natürlich mit der Möglichkeit,
über Zugangspreise, Arbeitsplätze, Steuern usw. starken Druck auf
politische Entscheidungen auszuüben. Damit wird der Aktionsradius unserer
Regierung unmittelbar eingeschränkt und auf lange Sicht der
Handlungsspielraum des Staates komplett blockiert. Die beliebte
Parole vom schlanken Staat ist nichts weiter als die Forderung der
Wirtschaft nach einer schwachen Volksvertretung. Es ist also keineswegs
polemisch und übertrieben, bei Privatisierungen vom Ausverkauf der
Demokratie zu reden.
Jetzt werden einige sagen: "Mit diesem Statement bist du leider ein
bisschen spät dran, alle wichtigen Staatsbetriebe sind ja längst
privatisiert." Das trifft aber nur zum Teil zu. Auf einigen Gebieten
lässt sich augenblicklich noch vieles retten (z.B. Wasserversorgung
oder Verkehrsnetz). Auch die offenbar geplante
Privatisierung
der Rente steht noch am Anfang. Erst neuerdings schickt sich unsere
Regierung im Übrigen an, mehr und mehr hoheitliche Aufgaben aus der Hand
zu geben. Hoheitliche Aufgaben sind solche, bei denen sich der einzelne
Bürger dem Staat gegenüber unterordnen muss. Dazu gehören nach der auf
Montesquieu
zurückgehenden "Gewaltenteilung" also vor allem Legislative
(Gesetzgebung), Exekutive (Verwaltung, Polizei, Armee) und Judikative
(Rechtsprechung). Hier sechs Beispiele für halsbrecherische Privatisierungen.
Es gäbe freilich noch viele mehr.
Beispiel 1: Public Private Partnership
Unter diesem wohlklingenden Namen werden in Deutschland nicht zuletzt
staatliche Gebäude verkauft und dann an die bisherigen Nutzer (vor allem
Ämter und Kommunen) vermietet. Hier zu glauben, der Staat könne finanziell
profitieren, ist unrealistisch und unaufrichtig. Wenn es sich nicht um
reine Korruption handelt, so dient dieses
Betreibermodell
- wie viele andere Privatisierungsaktionen auch - der
einmaligen Aufbesserung des öffentlichen Haushalts zum Preis wesentlich höherer
laufender Kosten. Auch die umgekehrte Halbprivatisierung, z.B. in Form
einer Vermietung der kommunalen Wasserversorgung, zieht nur deutlich steigende
Gebühren und eine Herunterwirtschaftung der Infrastruktur
nach sich, da sich Instandhaltungsarbeiten kurzfristig nicht auszahlen und
langfristige Investitionen für den privaten Betreiber nicht lohnen.
Beispiel 2: Gesetzentwürfe
Immer öfter werden tückische Gesetzentwürfe und Änderungsvorschläge
von
Wirtschafts- und Industrievertretern selbst ausgearbeitet, ohne dass der
Bundestag vor seiner Zustimmung Wind davon bekäme. Teilweise sitzen die
entsprechenden Mitarbeiter der Konzerne wie beim
Personalaustauschprogramm
"Seitenwechsel" gar in den Ministerien selbst. Hier handelt es sich um
eine gefährliche, von der Bundesregierung initiierte Privatisierung
des Gesetzgebungsprozesses.
Beispiel 3: Politikberatung
Von einigen Ausnahmen abgesehen dringt es meistens
nicht an die Öffentlichkeit, wenn sich unsere Kanzler, Minister,
Staatssekretäre, politischen Fachgruppen und Behörden mit fünf- bis
siebenstelligen Sümmchen die Ratschläge namhafter Unternehmensberater
kaufen (vgl.
Die
Zeit). Dabei ist die Geldverschwendung für skandalös teure
Beraterverträge nur ein Aspekt dieser Sache. Schwerer wiegt, dass sich
die Anliegen von Politik und Wirtschaft so fundamental voneinander
unterscheiden, dass man renommierte Wirtschaftsberater keineswegs als
Experten für gute Politik ansehen darf. Normalerweise arbeiten sie
sozusagen für die Gegenseite. Entsprechend ließen sich Sachverständige
ohne wirtschaftliche Ideologiebrille am ehesten in den eigenen Reihen
finden. Die wären dann natürlich auch viel billiger. Welche Gründe
stecken überhaupt hinter der Inanspruchnahme privater Consulting-Firmen?
Ist es die Möglichkeit, politische Fehlentscheidungen nachher auf die
falsche Beratung zu schieben? So nach dem Motto: "Nicht einmal McKinsey
ist eine bessere Lösung eingefallen."? Oder gehen die betreffenden
Politiker nur zu sehr von sich selbst aus und können sich kompetente
Mitarbeiter in den eigenen Reihen beim besten Willen nicht vorstellen?
Beispiel 4: Polizeiliche Ermittlungen
Interessant wird es auch, wenn die Polizei
Ermittlungsaufgaben aus der Hand gibt. Wie beispielsweise kürzlich bei
der privaten Rasterfahndung
"Mikado".
Dabei hatten 14 Kreditkartenunternehmen von
der sachsen-anhaltinischen Polizei den Auftrag erhalten, alle deutschen
Inhaber einer Kreditkarte daraufhin zu überprüfen, ob sie in einem
bestimmten Zeitraum eine bestimmte Summe auf ein bestimmtes Konto
überwiesen hätten. Nämlich auf das Konto einer mutmaßlich
amerikanisch-philippinischen Kinderschänder-Firma, die Kinderpornos über
einen kostenpflichtigen Zugang im Internet anbietet. 13 Unternehmen
kamen der Aufforderung ohne richterlichen Beschluss freiwillig nach und
lieferten der Polizei die gewünschten Namen. Alles schön und gut. Aber
glaubt irgend jemand ernsthaft, dass die ausgehändigte Trefferliste
nicht zuvor um die Namen wichtiger Mitarbeiter oder Großkunden dieser
Kreditkartenfirmen bereinigt wurde?
Beispiel 5: Gefängnisse
Nach erfolgreicher Ermittlungsarbeit der Banken
landen die Kinderpornokonsumenten dann im profitablen
Privatknast.
Das heißt ganz privat ist der Knast dann doch nicht. Das lässt unser
Grundgesetz nicht zu. Für die Maßregelung der Gefangenen müssen immer
noch staatliche Wärter hinzugezogen werden. Aber das Grundgesetz lässt
sich auch um eine weitere Ausnahme ergänzen - schließlich sind
Abtreibungen theoretisch auch unzulässig. Privat geführte Gefängnisse
sind einfach viel billiger. Warum sie billiger sind, fragt
sicherheitshalber niemand. Das Einsparungspotenzial liegt
erfahrungsgemäß vor allem in Anzahl und Entlohnung der Beschäftigten.
Aber weniger Personal sorgt für schlechteres Klima und mehr Kriminalität
innerhalb der Gefängnismauern. Und niedrigere Löhne der Bediensteten
erhöhen die Korruptionsanfälligkeit. Doch wen kümmert's? Denn boomt die
private Gefängnisindustrie erst einmal wie z.B. in den USA, dann haben wir gleich
noch eine dicke Lobby für die beständige Verschärfung des Strafgesetzes
im Land. Und mehr Haftstrafen heißt
weniger
Arbeitslose. Wer das für einen schlechten Witz hält, weiß wahrscheinlich
noch nicht, dass in den USA von 100 volljährigen Einwohnern
einer
im Gefängnis sitzt.
© Knowmore.org :: Contractor im Irak
Beispiel 6: Kriegsführung
Wo wir gerade beim Thema Sicherheitsfirmen sind: In
Deutschland schwebt noch immer eine
Große Anfrage
der FDP, welchen Status Sicherheits-
und Militärfirmen eigentlich haben. Derzeit ist die
Privatisierung des Krieges nämlich auf dem großen Vormarsch. Im Irak
stellen die momentan etwa 20.000 Angestellten privater Militärfirmen
nach der US-Armee und noch vor der britischen Armee das zweitgrößte
bewaffnete Kontingent! Die Legalität von Privatsoldaten ist allerdings
in vielen Ländern noch gar nicht geklärt. Nicht nur, dass Söldnerheere
viel
schwerer
zu kontrollieren sind als reguläre Truppen, vor allem
haben sie ein begründetes wirtschaftliches Interesse an der Fortdauer
des Krieges. Es liegt also auf der Hand, dass der Einsatz von
Söldnern
in den meisten Fällen kontraproduktiv und extrem riskant ist. Krieg
gehört deshalb unter keinen Umständen in die Hände von Unternehmern!
Beispiel 7: Anwaltliche Abmahnungen
Kaum jemand in unserem Land, der noch nichts vom deutschen
Abmahn-Unwesen
gehört hätte. Ja, richtig, anwaltliche
Abmahnungen sind eine Form von privatisiertem Rechtsvollzug - oder
werden zumindest regelmäßig als solche genutzt. Man könnte also durchaus
auch von Selbstjustiz sprechen. Eingeführt wurden sie ursprünglich, um
die Gerichte von wettbewerbsrechtlichen Klagen zu entlasten. Aber ohne
staatliche Kontrolle laufen sie aus dem Ruder und treffen immer häufiger
Unschuldige. Die sehen sich dann plötzlich mit ungerechtfertigten und
völlig unverhältnismäßigen Zahlungsforderungen konfrontiert, denen sie
lieber nachkommen, weil sie das Risiko und die Energieverschwendung
einer gerichtlichen Auseinandersetzung scheuen.