Dienstag, 13. Februar 2007

Privatisierung: Alles muss raus (Teil 2)

Die Führung von Staats­unternehmen hat gute Gründe. Man möchte damit den zuverlässigen, souveränen Zugriff auf wenigstens einige der wichtigsten Ressourcen gewährleisten: Kommunikation, Verkehr, Energie, Sicherheit und zum Großteil auch Bildung und Kranken­versorgung. Ein Staatsbetrieb muss keinen Gewinn erwirtschaften und kann sogar im Dienst wichtiger Ziele bewusst mit Verlust geführt werden, um beispielsweise eine billige Grund­versorgung zu sichern.

An diesen Stellen im Rahmen eines staatlichen Räumungs­verkaufes die Kontrolle zu verschachern, bedeutet, substanzielle nationale Interessen einfach markt­wirtschaftlichen Prinzipien unterzuordnen. Essenzielle Grundgüter eines ganzen Volkes also den zweifelhaften Interessen einer kleinen (daran verdienenden) Minderheit anheim zu stellen - mit all ihrem hässlichen aber naturgemäßen Egoismus. Und natürlich mit der Möglichkeit, über Zugangspreise, Arbeitsplätze, Steuern usw. starken Druck auf politische Entscheidungen auszu­üben. Damit wird der Aktionsradius unserer Regierung unmittelbar eingeschränkt und auf lange Sicht der Handlungs­spielraum des Staates komplett blockiert. Die beliebte Parole vom schlanken Staat ist nichts weiter als die Forderung der Wirtschaft nach einer schwachen Volksvertretung. Es ist also keineswegs polemisch und übertrieben, bei Privatisierungen vom Ausverkauf der Demokratie zu reden.

Jetzt werden einige sagen: "Mit diesem Statement bist du leider ein bisschen spät dran, alle wichtigen Staatsbetriebe sind ja längst privatisiert." Das trifft aber nur zum Teil zu. Auf einigen Gebieten lässt sich augenblicklich noch vieles retten (z.B. Wasser­versorgung oder Verkehrsnetz). Auch die offenbar geplante Privatisierung der Rente steht noch am Anfang. Erst neuerdings schickt sich unsere Regierung im Übrigen an, mehr und mehr hoheitliche Aufgaben aus der Hand zu geben. Hoheitliche Aufgaben sind solche, bei denen sich der einzelne Bürger dem Staat gegenüber unterordnen muss. Dazu gehören nach der auf Montesquieu zurückgehenden "Gewalten­teilung" also vor allem Legislative (Gesetz­gebung), Exekutive (Ver­waltung, Polizei, Armee) und Judikative (Recht­sprechung). Hier sechs Beispiele für halsbrecherische Privati­sierungen. Es gäbe freilich noch viele mehr.

Beispiel 1: Public Private Partnership

Unter diesem wohlklingenden Namen werden in Deutschland nicht zuletzt staatliche Gebäude verkauft und dann an die bisherigen Nutzer (vor allem Ämter und Kommunen) vermietet. Hier zu glauben, der Staat könne finanziell profitieren, ist unrealistisch und unaufrichtig. Wenn es sich nicht um reine Korruption handelt, so dient dieses Betreibermodell - wie viele andere Privatisierungs­aktionen auch - der einmaligen Aufbesserung des öffentlichen Haushalts zum Preis wesentlich höherer laufender Kosten. Auch die umgekehrte Halb­privatisierung, z.B. in Form einer Vermietung der kommunalen Wasserversorgung, zieht nur deutlich steigende Gebühren und eine Herunter­wirtschaftung der Infrastruktur nach sich, da sich Instand­haltungs­arbeiten kurzfristig nicht auszahlen und langfristige Investitionen für den privaten Betreiber nicht lohnen.

Beispiel 2: Gesetzentwürfe

Immer öfter werden tückische Gesetzentwürfe und Änderungs­vorschläge von Wirtschafts- und Industrie­vertretern selbst ausge­arbeitet, ohne dass der Bundestag vor seiner Zustimmung Wind davon bekäme. Teilweise sitzen die entsprechenden Mitarbeiter der Konzerne wie beim Personal­austausch­programm "Seitenwechsel" gar in den Ministerien selbst. Hier handelt es sich um eine gefährliche, von der Bundesregierung initiierte Privatisierung des Gesetz­gebungs­prozesses.

Beispiel 3: Politikberatung

Von einigen Ausnahmen abgesehen dringt es meistens nicht an die Öffentlichkeit, wenn sich unsere Kanzler, Minister, Staatssekretäre, politischen Fachgruppen und Behörden mit fünf- bis siebenstelligen Sümmchen die Ratschläge namhafter Unternehmens­berater kaufen (vgl. Die Zeit). Dabei ist die Geldverschwendung für skandalös teure Beraterverträge nur ein Aspekt dieser Sache. Schwerer wiegt, dass sich die Anliegen von Politik und Wirtschaft so fundamental voneinander unterscheiden, dass man renommierte Wirtschafts­berater keineswegs als Experten für gute Politik ansehen darf. Normalerweise arbeiten sie sozusagen für die Gegenseite. Entsprechend ließen sich Sachverständige ohne wirtschaftliche Ideologie­brille am ehesten in den eigenen Reihen finden. Die wären dann natürlich auch viel billiger. Welche Gründe stecken überhaupt hinter der Inanspruch­nahme privater Consulting-Firmen? Ist es die Möglichkeit, politische Fehlentscheidungen nachher auf die falsche Beratung zu schieben? So nach dem Motto: "Nicht einmal McKinsey ist eine bessere Lösung eingefallen."? Oder gehen die betreffenden Politiker nur zu sehr von sich selbst aus und können sich kompetente Mitarbeiter in den eigenen Reihen beim besten Willen nicht vorstellen?

Beispiel 4: Polizeiliche Ermittlungen

Interessant wird es auch, wenn die Polizei Ermittlungsaufgaben aus der Hand gibt. Wie beispielsweise kürzlich bei der privaten Rasterfahndung "Mikado". Dabei hatten 14 Kreditkarten­unternehmen von der sachsen-anhaltinischen Polizei den Auftrag erhalten, alle deutschen Inhaber einer Kreditkarte daraufhin zu überprüfen, ob sie in einem bestimmten Zeitraum eine bestimmte Summe auf ein bestimmtes Konto überwiesen hätten. Nämlich auf das Konto einer mutmaßlich amerikanisch-philippinischen Kinderschänder-Firma, die Kinderpornos über einen kostenpflichtigen Zugang im Internet anbietet. 13 Unternehmen kamen der Aufforderung ohne richter­lichen Beschluss freiwillig nach und lieferten der Polizei die gewünschten Namen. Alles schön und gut. Aber glaubt irgend jemand ernsthaft, dass die ausgehändigte Trefferliste nicht zuvor um die Namen wichtiger Mitarbeiter oder Großkunden dieser Kredit­karten­firmen bereinigt wurde?

Beispiel 5: Gefängnisse

Nach erfolgreicher Ermittlungsarbeit der Banken landen die Kinder­porno­konsumenten dann im profitablen Privatknast. Das heißt ganz privat ist der Knast dann doch nicht. Das lässt unser Grundgesetz nicht zu. Für die Maßregelung der Gefangenen müssen immer noch staatliche Wärter hinzugezogen werden. Aber das Grundgesetz lässt sich auch um eine weitere Ausnahme ergänzen - schließlich sind Abtreibungen theoretisch auch unzulässig. Privat geführte Gefäng­nisse sind einfach viel billiger. Warum sie billiger sind, fragt sicherheitshalber niemand. Das Einsparungs­potenzial liegt erfah­rungsgemäß vor allem in Anzahl und Entlohnung der Beschäftigten. Aber weniger Personal sorgt für schlechteres Klima und mehr Kriminalität innerhalb der Gefängnis­mauern. Und niedrigere Löhne der Bediensteten erhöhen die Korruptions­anfälligkeit. Doch wen kümmert's? Denn boomt die private Gefängnis­industrie erst einmal wie z.B. in den USA, dann haben wir gleich noch eine dicke Lobby für die beständige Verschärfung des Strafgesetzes im Land. Und mehr Haftstrafen heißt weniger Arbeitslose. Wer das für einen schlechten Witz hält, weiß wahrscheinlich noch nicht, dass in den USA von 100 volljährigen Einwohnern einer im Gefängnis sitzt.


© Knowmore.org :: Contractor im Irak

Beispiel 6: Kriegsführung

Wo wir gerade beim Thema Sicherheitsfirmen sind: In Deutschland schwebt noch immer eine Große Anfrage der FDP, welchen Status Sicherheits- und Militärfirmen eigentlich haben. Derzeit ist die Privatisierung des Krieges nämlich auf dem großen Vormarsch. Im Irak stellen die momentan etwa 20.000 Angestellten privater Militärfirmen nach der US-Armee und noch vor der britischen Armee das zweitgrößte bewaffnete Kontingent! Die Legalität von Privatsoldaten ist allerdings in vielen Ländern noch gar nicht geklärt. Nicht nur, dass Söldnerheere viel schwerer zu kontrollieren sind als reguläre Truppen, vor allem haben sie ein begründetes wirtschaftliches Interesse an der Fortdauer des Krieges. Es liegt also auf der Hand, dass der Einsatz von Söldnern in den meisten Fällen kontraproduktiv und extrem riskant ist. Krieg gehört deshalb unter keinen Umständen in die Hände von Unternehmern!

Beispiel 7: Anwaltliche Abmahnungen

Kaum jemand in unserem Land, der noch nichts vom deutschen Abmahn-Unwesen gehört hätte. Ja, richtig, anwaltliche Abmah­nungen sind eine Form von privatisiertem Rechtsvollzug - oder werden zumindest regelmäßig als solche genutzt. Man könnte also durchaus auch von Selbstjustiz sprechen. Eingeführt wurden sie ursprünglich, um die Gerichte von wettbewerbs­rechtlichen Klagen zu entlasten. Aber ohne staatliche Kontrolle laufen sie aus dem Ruder und treffen immer häufiger Unschuldige. Die sehen sich dann plötzlich mit ungerecht­fertigten und völlig unverhältnis­mäßigen Zahlungs­forderungen konfrontiert, denen sie lieber nachkommen, weil sie das Risiko und die Energie­verschwendung einer gerichtlichen Auseinander­setzung scheuen.

Autor: Root   
Thema:  Politik
Veröffentlicht: 13.02.2007, 11:41 Uhr

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