Mittwoch, 25. März 2009
Technische Leyen und Kinderpornografie
Seit 1997 bin ich drin, wie es einst in der ungeheuer kreativen Werbung mit dem charismatischen Boris Becker hieß. Drin im Internet. Seitdem war ich - teils auch studiums- und jobbedingt - mehr im Web unterwegs als die meisten anderen Internetnutzer. Auf meinen Streifzügen durch den Datendschungel habe ich schon viel gesehen. Homepages über das perfekte Simulieren von Krankheiten, eBay-Versteigerungen 10 Jahre alter Sandwiches, Internetauftritte bekannter Unternehmen voll dreister Lügen, monatelang auf einen Käse gerichtete Webcams, Sexseiten von Tennissockenfetischisten, internetgesteuerte Gewehre, mit denen man Tiere ganz real per Mausklick erschießen kann oder live übertragene Selbstmorde. Eine Sache ist mir in diesen 12 Jahren allerdings noch nie begegnet: Kinderpornografie. Auf kinderpornografische Inhalte stößt man nicht zufällig. Und selbst die gezielte Suche nach Kinderpornografie im Netz führt den Uneingeweihten zu Nachrichten, Kinderschutzvereinen oder schlimmstenfalls Fakeseiten, auf denen dümmlich aussehende 21-Jährige mit aufgemalten Sommersprossen und rosa Schleife im Haar in Verlegenheitsposen auf die widerwärtigen Annäherungsversuche von Schmuddelporno-Opas warten. Für echte kinderpornografische Bilder oder Filme braucht man einschlägige Kontakte.
Natürlich ist der Kampf gegen Kindesmissbrauch und deren Vermarktung im
Internet sinnvoll und gut! Aber wenn unsere Bundesfamilienministerin von
der Leyen zukünftig Webseiten mit
kinderpornografischen
Inhalten sperren lassen will, illustriert sie damit leider nur ihren Mangel an
Sachkenntnis. Während nämlich der Kampf um die Abschaltung der
skrupellosen und menschenverachtenden Webseiten eine wichtige, wenn auch
frustrierende Aufgabe der deutschen Strafverfolgungsbehörden ist, kann
ein entsprechender Filter lediglich Schaden anrichten. Die umstrittene
Sperre schaltet nicht die Angebote selbst ab, sondern verweigert - in der
Theorie - die Zugriffe darauf. Da das Internet allerdings immer viele
Wege zu einem Ziel kennt, lässt sich die geplante
DNS-Sperre
grundsätzlich kinderleicht umgehen. Dafür ist noch nicht einmal die Nutzung
eines ausländischen
Proxy-Servers
notwendig. Außerdem würde schnell ein
Hase-und-Igel-Spiel
mit den Urhebern der zu sperrenden
Webseiten beginnen, bei dem die Filter stündlich aktualisiert werden
müssten, um überhaupt irgendeine Wirkung zu erzielen. In der Folge
könnte das Bundeskriminalamt bestenfalls dafür sorgen, dass der
"normale" Internetnutzer jene Kinderporno-Seiten nicht mehr aufrufen
kann, auf die er ohnehin nie gestoßen wäre. Mit den nötigen Kontakten
erfährt ein potenzieller Straftäter dagegen umgehend, wie er die Sperre
mit einfachen Mitteln umgehen kann. Wirkliche Erfolge erhoffen sich
daher nur technische Leyen Laien.
Gleichzeitig würde diese Sperre aus konzeptionellen Gründen zwangsläufig auch völlig unbeteiligte Webseiten blockieren. Und schlimmer noch: Einmal eingerichtet, kann das Filter-System leicht dahin gehend erweitert werden, dass unversehens auch politisch unerwünschte Inhalte ohne kriminellen Hintergrund blockiert werden, auf die man sonst tatsächlich zufällig stoßen könnte. Die angestrebten Filtermethoden sind ja andernorts längst im Einsatz. Beispielsweise in der Türkei, im Iran und in China. Mit anderen Worten: Die geforderten Sperren würden nicht helfen, aber einer längst erträumten, politischen Zensur des Internets Tür und Tor aufreißen. Und genau das ist auch das wahre Ziel dieser verlogenen Kampagne.
Links zum Thema:
- Video "Rette Deine Freiheit"
- Online-Petition gegen Internet-Zensur
- Missbrauchsopfer gegen Internetsperren | Video
- Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur
- Artikel der c't zu den geplanten DNS-Sperren
- Der Skandal um die Operation Ore - Teil 1 | Teil 2 | Teil 3
- Einblicke in die Kinderpornoszene | alternative Quelle
- Von der Leyen auf den Spuren des Geliebten Führers
- bpb-Publikation zum Thema Zensur im Internet
- Anleitung der PC-Welt zum Umgehen von Netzsperren