Samstag, 11. April 2009

Finanzkrise III: Krisenszenarien

"Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betref­fen." Dieser ironische Satz wird meist Mark Twain zugeschrieben und trifft natürlich auch in unserem Fall ins Schwarze. Dass die Krise sich deutlich ausweiten wird, kann anhand der Faktenlage als sicher gelten. Bis wann sich die Situation verschärft und wie die genauen Konsequenzen für die Bevölkerung aussehen werden, ist dagegen eher ungewiss.

Wer nun meint, die Beschäftigung mit konkreten Krisenszenarien und die persönliche Vorbereitung darauf seien deshalb übertrieben oder gar paranoide Panikmache, der verkennt die Realität und ist selbst Opfer jenes allgemeinen Leichtsinns und der kultivierten Sorglosigkeit geworden, die von Arbeits- und Katastrophen­schutz­behörden so oft beklagt werden. Nur deshalb, weil ich seit 10 Jahren schadlos Auto fahre ohne mich anzuschnallen, kann ich daraus nicht schließen, dass ein Sicherheitsgurt Unsinn ist und die Erneuerung des Erste-Hilfe-Kastens Ausdruck von Unfall-Hysterie. Selbst das aktuelle Finanzdebakel war schon lange im Voraus absehbar (vgl. Handelsblatt.com und Tagesspiegel.de) und hätte verhütet werden können, wären die Politiker und Banker nicht mit psycho­ti­schem Optimismus vernagelt gewesen. Aber auch die gegensätzliche Reaktion, nämlich das vielrezitierte Mantra der Einfallslosen: "Da kann man doch sowieso nichts machen." ist unverantwortlich, lähmt die Kreativität, macht depressiv und fällt daher beim Vernunftstest durch.


© Supertramp :: Crisis? What Crisis?

Wenn es um die Vorbereitung geht, lautet die zunächst wichtigste Frage natürlich: Welche Szenarien sind realistisch? Da uns der Blick in die Zukunft gewöhnlich verwehrt bleibt, ist unsere bedeutendste Informationsquelle die Vergangenheit. Folgende Szenarien traten im Zusammenhang mit historischen Wirtschaftskrisen auf und sind auch im Laufe der kommenden Krise denkbar:

Bargeldengpässe

Sollte das Bankensystem insgesamt kollabieren, werden in der Konsequenz vermutlich die meisten Banken schließen, das Netz der Geldautomaten ausfallen. Besonders rasch tritt dieser Effekt bei einem Bankenansturm (vgl. Alles Schall und Rauch) ein. So nennt man die panikartigen Versuche größerer Gruppen von Bankkunden, gleichzeitig Geld vom eigenen Konto abzuheben. Den Banken gehen dann schnell die Bargeldvorräte aus. Folge: Die Automaten sind leer, die Schalter schließen. Die mit Geheimzahl arbeitenden EC-Abrech­nungssysteme der Geschäfte streiken und auch das Wechselgeld in den Kassen geht zur Neige. Die Läden und Tankstellen werden dann innerhalb kurzer Zeit ebenfalls geschlossen. Im Herbst 2008 konnte eine solche Situation übrigens nur mit viel Glück abgewendet werden (vgl. Alles Schall und Rauch, Tagesschau.de).

Unterhaltsengpässe

Größere Pleitewellen äußern sich oft darin, dass Löhne und Gehälter zuerst verzögert, später gar nicht mehr gezahlt werden. Im Falle eines Staatsbankrotts betrifft das selbst Beamtengehälter, Renten und Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld, Hartz IV oder Sozialhilfe. Auch die private Zahlungsmoral lässt dann verständlicher Weise dramatisch nach und Handwerker­rechnungen etc. werden einfach nicht mehr beglichen. Neben Problemen der Grund­versorgung entstehen oft auch Schwierigkeiten wegen säumiger Mieten, besonders dann, wenn die Bevölkerungsmehrheit noch über finanzielle Mittel verfügt und sich der Vermieter von einem Rausschmiss neue, zahlungsfähige Mieter verspricht.

Streiks, Generalstreiks

Wenn Unternehmen zahlungsunfähig werden und die Löhne aus­bleiben, kommt es schnell zu Arbeitsniederlegungen und Streiks. Betrifft das die Automobilindustrie, ist das leicht zu verschmerzen. Passiert das in Großbäckereien oder Molkereien, sieht die Sache schon anders aus. Und Streiks im Transportsektor legen schnell alles andere lahm, nicht zuletzt die auf ständige Lieferungen ange­wiesenen Supermärkte.

Versorgungsengpässe

Nicht selten treten zeitweilig Schwierigkeiten bei der Grund­versorgung der Bevölkerung auf: Die Lebensmittel gehen aus, vor allem im Sommer und bei Strom- oder Treibstoffknappheit kann sauberes Trinkwasser Mangelware werden, im Winter Heizmaterial. Etliche Medikamente sind nicht mehr erhältlich. Besonders unser Supermarktsystem ist sensibel und anfällig, da die Lager klein und die Nahrungsmittelvorräte aus Frischhaltegründen gering sind. Ohne kontinuierliche Belieferung sind die Regale meist schon binnen Stunden leer. Solche Engpässe sind u.a. vom Grad der Privatisierung abhängig und können sich auch über einige Wochen erstrecken, bis ein staatliches Ersatzsystem aufgebaut und z.B. Lebensmittelkarten ausgeteilt sind.

Stromausfälle

Hiervon wären Zimmer- und Straßenbeleuchtung, U-Bahnen, Straßenbahnen, Fahrstühle, automatisch schließende Türen, Parkhaus­zufahrten, Schranken, Ampeln, Zapfsäulen, Bankauto­maten, Supermarkt­kassen, Heizungen (auch die meisten Öl- und Gasheizungen), Kühl- und Gefrierschränke, Mikrowellen­herde, Elektroherde, teilweise auch Gasherde, Wasserkocher, Warm­wasserspeicher, Waschmaschinen, Wäsche­trockner, Rundfunkge­räte, Computer, Telefonnetz (auch Mobilfunk), Internet, Akku­ladegeräte und vieles andere betroffen. Länger anhaltende Stromausfälle in Verbindung mit Treibstoff­knappheit können auch die Versorgung mit (sauberem) Leitungswasser und Gas zusammen brechen lassen, da die im Krisenfall eingesetzten Notstrom­aggregate meist mit Diesel­generatoren betrieben werden. Neben unregel­mäßigen Stromausfällen, die durchaus auch tagelang anhalten können, wurden als geregelte Sparmaßnahme auch schon stromlose Tageszeiten eingeführt. Zusätzliche Risiken ergeben sich daraus, dass die ungewohnte Dunkelheit auf Straßen und Plätzen und in Häusern und Parks zu Einbrüchen, Plünderungen und Überfällen verleiten kann.

Inflation

Häufig setzt nach staatlichen Großinvestitionen und hemmungsloser Gelddruckerei gegen Ende einer Finanzkrise eine sogenannte Hyperinflation ein: Das Geld verliert in immer höherem Tempo an Wert und die Preise wachsen ins Uferlose. Das kann sogar gewollt sein, beispielsweise um mit einem Wertverfall des Geldes gleich­zeitig auch die immensen Staats- und Wirtschafts­schulden "wegzu­inflationieren". Leidtragende einer solchen Entwicklung sind jedoch nicht nur die Sparer mit gut gefüllten Bankkonten. Auch Empfänger einer privaten Rente bekommen von der Bank bzw. Versicherung normalerweise stur den gleichen Betrag ausgezahlt wie bisher. Nur dass sie davon jetzt nicht mehr leben können. Händler erhalten für das eingenommene Geld noch nicht einmal neue Waren und müssen die Läden schließen. Und auch die Regelsätze für Sozialleistungen und staatliche Renten werden meist viel zu langsam angepasst, sodass Arbeitslose, Sozialhilfe­empfänger und Ruheständler schnell in Existenznöte geraten. Für viele ist deshalb der finale Kollaps der Währung eine Erlösung. Denn ist eine Währung endgültig zugrunde gerichtet, wird sie "einfach" durch eine neue ersetzt. Im Zuge dessen ist es allerdings auch schon vorgekommen, dass zur Stützung der neuen Währung als erstes die Goldvorräte der Bevölkerung konfisziert wurden.

Unruhen, Plünderungen

Werden Geld und Nahrung knapp oder offenbaren sich Korruption und Gleichgültigkeit der Politiker als Krisenauslöser, kommt es häu­fig zu gewalttätigen Demonstrationen, Plünderungen von Ge­schäften und Supermärkten, Übergriffen auf Banken und staatliche Einrich­tungen, randalierenden Ausschreitungen und Straßen­schlachten mit Polizei oder (im Zuge von Amtshilfe hinzugezogener) Armee. Das kann sich ausweiten bis hin zu tatsächlich bürgerkriegs­ähnlichen Zuständen mit Ausgangs­sperren, meist allerdings beschränkt auf die Zentren größerer Städte. Darunter leiden aber oft auch weiträumig Infra­struktur und Grundversorgung. Für Großbritannien rechnet der dortige Geheimdienst MI5 mit Bevölkerungs­unruhen ab Sommer diesen Jahres (vgl. MMnews.de). Und auch hierzulande könnte es ab Herbst 2009 ungemütlicher werden (vgl. Sueddeutsche.de).

Brände

Im Zuge von Wirtschaftskrisen steigt auch die Brandgefahr. Dafür sind einerseits Stromausfälle verantwortlich. Schnell geraten unvernünftige Gokeleien zum Zweck der Beleuchtung oder Beheizung außer Kontrolle. Und auch die unsachgemäße Lagerung von Brennstoff-Vorräten, z.B. auf dem Dachboden, kann verheerende Brände auslösen. Andererseits gehören Brand­stiftungen zum üblichen Repertoire aufgebrachter Demonstrations­züge, Plünderer­banden und einzelner Verzweiflungs­täter. Bei gleichzeitigem Stromausfall wird auch die Alarmierung der Feuerwehr zur ungeahn­ten Herausforderung.

Verhaltenstipps:

  • Keine Panik! In jeder Situation Ruhe bewahren und besonnen handeln!
  • Nicht resignieren! Jedes Problem ist lösbar! Mit anderen Worten: Man kann fast immer etwas tun!
  • Jetzt vorsorgen: Nahrungsmittel, Medikamente (vor allem regelmäßig benötigte), Hygieneartikel, Bar­geld etc. für wenigstens 4 Wochen beschaffen!
  • Nachbarschaftliche Kontakte knüpfen/intensi­vieren! Du wirst womöglich auf andere Menschen angewie­sen sein! Viele Probleme sind nur gemeinsam lösbar.
  • Im Krisenfall: Keine Gewalt! Gewalt verschlimmert nur die Situation und erschwert einen Neu­anfang nach der Krise.

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Autor: Root   
Thema:  Krise, Wirtschaft
Veröffentlicht: 11.04.2009, 23:39 Uhr

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