Freitag, 10. April 2009
Finanzkrise II: Die Show beginnt
Bankenpleiten, Absatzprobleme, Kurzarbeit, Entlassungen, Firmeninsolvenzen, Steuereinbrüche und neue Staatsschulden ungekannter Dimension. Das alles haben wir schon. Doch im bisherigen Umfang sind das vermutlich nur die Vorbeben. Die eigentliche Krise kommt erst noch. Die Talsohle werden wir wohl kaum vor 2010 erreichen. Profis mit Hintergrundwissen - wie dem letztjährigen Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman - ist mulmig zumute. Warum? Im Folgenden eine Auswahl an Daten und Fakten.
Ausstehende Abschreibungen
Rund 1 Billion Dollar an faulen Privatimmobilien-Krediten haben die Banken bislang im Rahmen der sogenannten Subprime-Krise in ihren Bilanzen berücksichtigt, das heißt vom Eigenkapital abgeschrieben. Bereits diese Summe hat also ausgereicht, um die derzeitige Wirkung zu entfalten. Nach aktuellen Schätzungen des IWF müssen aber wohl insgesamt 4 Billionen Dollar vom Eigenkapital abgezogen werden. Und selbst diese Zahl wird im Laufe des Jahres sicherlich noch deutlich nach oben korrigiert. Bekannt ist beispielsweise, dass europäische Banken noch im Oktober 2008 Kredite im Rahmen von etwa 1,2 Billionen Euro nach Osteuropa und an die Türkei vergeben haben, von denen wohl kaum etwas zurück kommen wird. Außerdem werden auch die Zahlen des 6-Billionen-Dollar-Marktes für Gewerbeimmobilien-Kredite langsam bedenklich. An weitere Kreditblasen mag noch gar niemand denken. Denn das große Problem besteht darin, dass schon jetzt die abzuschreibenden Summen das übrige Eigenkapital des weltweiten Bankensystems erheblich überschreiten. Und ewig lassen sich Bilanzkorrekturen einfach nicht verschleppen. Unser gesamtes Finanzsystem ist also bankrott.
Zinsexplosion
Der Wirtschaftswissenschaftler und Finanzjournalist Alexander Czerny schreibt in seinem Artikel "Die wahren Ursachen der Finanzkrise", dass sich die Geldvermögen in den USA im Zuge des exponentiellen Zinswachstums aller 7 bis 11 Jahre verdoppeln. Das zeitliche Intervall, in dem die nächste Billion Dollar generiert wird, verkürzt sich dabei immer mehr:
"Nachdem die erste Billion 1977 nach einigen hundert Jahren Wachstum erreicht war, schaffte es die zweite Billion bereits 1984, nach nur 7 Jahren. Nach weiteren sechseinhalb Jahren waren dann 3 Billionen erreicht, nach weiteren sechs Jahren 4 Billionen (1997). Jede weitere Billion wächst in immer kürzeren Zeiträumen:
- 5 Billionen nach nur 2 Jahren und 11 Monaten,
- 6 Billionen nach nur 2 Jahren und 8 Monaten,
- 7 Billionen nach nur 1 Jahr und 10 Monaten,
- 8 Billionen nach nur 1 Jahr und 8 Monaten,
- 9 Billionen nach nur 1 Jahr und 4 Monaten,
- 10 Billionen nach nur 1 Jahr und 3 Monaten
- 11 Billionen nach nur 4 Monaten (Dezember 2008)!!"
Führt man jene Rechnung spaßeshalber weiter, schrumpft der Abstand zur nächsten Billion voraussichtlich an einem Tag Mitte Mai erstmals auf Stunden, dann auf Minuten und schließlich auf Sekunden. Dass spätestens hier das reguläre, zinsbasierte Geldwachstum seine Grenzen hat, liegt auf der Hand.
Weitere Blasen
Bekanntlich ist 2007 die Blase der privaten Immobilienkredite geplatzt. Und weitere Kreditblasen, wie die vergleichsweise harmlose US-amerikanische Kreditkartenblase oder die oben schon erwähnte, kritische Blase der gewerblichen Immobilienkredite stehen noch aus. Es gibt jedoch nicht nur Kreditblasen. Erwähnt sei hier die riesige, nicht zuletzt von den berüchtigten Hedgefonds erzeugte Derivatblase. Derivate - von Warren Buffet als "finanzielle Massenvernichtungswaffen" bezeichnet - sind spekulative Verträge mit Banken, die von ihrer Art her stark an Wetten erinnern. Besonders stechen im Augenblick die Credit Default Swaps (CDS) hervor. Diese Kredit-Derivate funktionieren etwa so:
Akteur A nimmt einen Kredit bei der Bank XY auf. Akteur B spekuliert darauf, dass Akteur A diesen Kredit nicht zurück zahlen wird. Deshalb schließt er mit der Bank XY einen CDS-Vertrag ab. Darin verpflichtet er sich, jährlich - sagen wir - 1 Prozent der Kreditsumme an die Bank zu zahlen. Zahlt Akteur A seinen Kredit wider Erwarten doch an die Bank XY zurück, hat die Bank dank des CDS-Vertrages einen zusätzlichen Gewinn erwirtschaftet. Kann Akteur A den Kredit wie gehofft nicht zurück zahlen, erhält Akteur B von der Bank XY einmalig einen Betrag in Höhe der Kreditsumme.
Platzt ein Kredit, blutet die Bank also letztlich doppelt. Was die CDS-Verträge mit einem von der Bundesregierung geschätzten, aktuellen Volumen von 40 Billionen Dollar im Zusammenspiel mit den rasant zunehmenden Kreditausfällen bewirken werden, lässt sich bisher kaum beurteilen (vgl. Financial Times). Die Rede ist dabei nur von dieser speziellen Form der Kredit-Derivate. Die Risiken anderer Derivate und Leerverkäufe auszuführen, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen.
Rückkopplungseffekte
Im Kontext der aktuellen Krise haben mittlerweile vor allem die von Großkonzernen dominierten Wirtschaftszweige Schlagseite. Der unmittelbare Grund ist überwiegend ein Einbruch der Nachfrage. Die Folge sind Lohnkürzungen und Entlassungen. Wenn die Menschen aber weniger Geld in der Tasche haben, sinkt die Nachfrage nach vielen Produkten noch drastischer. Auf diese Weise setzt ein schwer zu unterbrechender Teufelskreis ein. Vergleichbare Effekte gibt es auch im Kreditwesen und bei den Steuereinnahmen.
Möglicher Dollarcrash
Nicht wenige Experten befürchten einen großen Börsenkrach, der in Kürze etliche Aktiengesellschaften ruinieren könnte. Dem ließe sich wahrscheinlich mit dem rechtzeitigen Schließen der Börsen Einhalt gebieten. Relativ unabhängig davon wird aber schon seit Jahren in der Finanzwelt vor dem Hintergrund der astronomischen Staatsverschuldung der USA und dem notorischen US-Außenhandelsdefizit über den wahrscheinlichsten Zeitpunkt eines plötzlichen, massiven Wertverlustes der US-Währung diskutiert. Doch noch nie in der Geschichte des Dollars wurden soviel zusätzliche Staatsschulden aufgenommen, noch nie soviel zusätzliches (wertloses) Geld gedruckt. Mit anderen Worten: Noch nie war ein Dollarcrash so wahrscheinlich wie derzeit. Und nun beginnt die einstige Vorzeigewährung tatsächlich immer mehr zu wackeln. Ein Crash der Leitwährung wäre vermutlich imstande, ganze Volkswirtschaften in die Knie zu zwingen. Und bereits Ende letzten Jahres - also noch bevor die Dollarpressen glühten - schrieb die Financial Times Deutschland:
"Die Anleger scheinen also tatsächlich zu glauben, dass der Fed die gewünschte Weginflationierung der Schulden misslingt. Und dass die wertlosen neuen Dollar die US-Währung nicht kollabieren lassen werden. Wenn man bedenkt, dass die Nettoersparnis der US-Gesamtwirtschaft schon im dritten Quartal, also noch bevor die Fiskalpolitik richtig losgelegt hat, auf einen annualisierten Wert von minus 249 Mrd. $ gefallen ist, wird einem da schlecht."
Staatsbankrotte
Im Zusammenhang mit der Finanzkrise und den milliardenschweren Konjunkturprogrammen, die mit Hilfe monströser Staatsschulden finanziert wurden, taucht ein neues Schreckgespenst auf: Der Staatsbankrott. Zu diesem Thema hier ein sechsminütiger Beitrag des ARD-Magazins Plusminus vom 24. März 2009: