Mittwoch, 31. Januar 2007

Demokratiemissverständnis

Das Demokratieverständnis des durchschnittlichen deutschen Politikers ist erfahrungsgemäß sehr unterentwickelt. Nicht wenige der Abgeordneten scheinen überhaupt keines zu haben. Dem Namen nach leben wir ja in einer Repräsentativen Demokratie. Das Wort Demokratie kommt ursprünglich aus dem Griechischen und bedeutet "Volksherrschaft", oder besser noch "Volksmacht". Und repräsentativ wird eine Demokratie dadurch, dass sie von Repräsentanten ausgeübt wird. Repräsentant heißt wiederum so etwas wie "Vertreter". Nun hat das Wort Vertreter je nach Zusammenhang recht unterschiedliche praktische Bedeutungen. Es gibt Versiche­rungsvertreter. Sie verkaufen Versicherungen. Es gibt Staubsauger­vertreter. Die verkaufen Staubsauger. Und es gibt Volksvertreter. Vielen Politikern hat man noch nicht verraten, dass die Aufgaben hier völlig anders liegen.

Heute ist mir noch eine weitere, verheerende Fehldeutung des Wortes Vertreter begegnet. In den Nachrichten las ich, dass sich mehrere SPD-Abgeordnete bei der entscheidenden Sitzung des Gesundheitsausschusses aus Protest gegen die Gesundheitsreform vertreten ließen - um den Fraktionsfrieden nicht zu stören. Natürlich von Abgeordneten, die sich für die Gesundheitsreform aussprechen. Das werden sie dann wohl am Freitag bei der Abstimmung im Bundestag wieder so handhaben. Dabei ist mit "Vertreter" in diesem Zusammenhang doch gar keine Person gemeint, die sich vertreten lässt und sich selbst derweil die Beine vertritt. Vielmehr ist der Vertreter eine Person, die selbst jemand Abwesendes vertritt. Und zwar hier konkret das deutsche Volk, das ja leider aus Platzgründen und anderen taktischen Erwägungen an den Beratungen und Abstimmungen nicht teilnehmen darf. Es herrscht also noch großer Schulungsbedarf.

Deshalb an dieser Stelle auch gleich eine kleine Kurzlektion in Demokratieverständnis: Das Wort "Vertreter" ist normalerweise gleichbedeutend mit "Interessenverteter". Ein Volksvertreter soll entsprechend die Interessen des Volkes vertreten - genauer noch jenes Teils der Bevölkerung, von dem er gewählt wurde. Wenn man die Interessen des Volkes nicht kennt, kann man demnach seinem Auftrag als Volksvertreter gar nicht gerecht werden. In einem solchen (sehr verbreiteten) Fall muss der betreffende Volksvertreter also zunächst einmal die Interessen des Volkes bzw. seines Wahlkreises in Erfahrung bringen. Die Möglichkeit, stattdessen lieber andere, besser bekannte Interessen zu vertreten (z.B. die der Industrie oder einfach die eigenen) scheidet trotz großer Beliebtheit völlig aus.

In diesem Sinne gutes Lernen!

Autor: Root   
Thema:  Politik
Veröffentlicht: 31.01.2007, 17:32 Uhr

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